Nachlese zur fraMediale 2017: "Spannung? Potentiale!"

Gespannt erwarteten wir die diesjährige fraMediale: Das Programm versprach den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Tag voller Blitzlichter und Impulse – und hielt das Versprechen. Bereits seit 2009 treffen sich Lehrerinnen und Lehrer, pädagogische Fachkräfte, Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik, Ministerien, Kommunen und Bildungseinrichtungen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland (und darüber hinaus) in Frankfurt am Main – einige von ihnen sind mittlerweile alte Bekannte auf der Fachtagung und Medienmesse, die alle anderthalb Jahre stattfindet; aber auch viele neue Gesichter bereicherten die Veranstaltung. Denn – wie Professor Dr. Ulrich Schrader, Vizepräsident der Frankfurt University of Applied Sciences, in seinem Grußwort anmerkte – was wäre die Veranstaltung ohne die Mitwirkenden, die sie mit Inhalten füllen, oder die Besucherinnen und Besucher, die das Gesagte kommentieren, Feedback geben und so den Austausch beleben: Zwischen Kanapees und Kuchen tauschten sich die Gäste über Gehörtes aus und teilten ihre eigenen Erfahrungen zum Thema mit den anderen. Es war eine ganz und gar kommunikative Veranstaltung, wie sie uns Professorin Dr. Dorothee M. Meister, Vorsitzende der GMK und Professor Dr. Sven Kommer, Sprecher der Initiative KBoM! in ihren Grußworten wünschten, und ebenso eine interessante und spannungsreiche: Wenn es um den Besuch der zahlreichen parallel stattfindenden Workshops und Infoshops ging, hatte man die "Qual der Wahl", wie die Geschäftsführende Direktorin Olga Engel vorwarnte; auch die Vielfalt der Exponate der Medienmesse spiegelte das bunte Spektrum erfolgreicher Projekte und Initiativen rund um das Thema digitale Medien in Bildungskontexten wider.

fraMediale-Grusswort-Moderation-Thomas-KnausMit einem Gedicht von Erich Kästner eröffnete Gastgeber Professor Dr. Thomas Knaus, Wissenschaftlicher Direktor des Frankfurter Technologiezentrums [:Medien] – FTzM, die Veranstaltung und führte daraufhin in das Schwerpunktthema ein: "Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt – behaart und mit böser Visage. [...] Inzwischen sitzen sie nun am Telefon. Und es herrscht noch genau derselbe Ton – wie seinerzeit auf den Bäumen." Die Menschen (und ihr Umgang miteinander) bleiben nach Erich Kästner trotz der kontinuierlichen "Entwicklung der Menschheit" also gleich – "aber die Codes und die Medien änderten sich", ergänzt Thomas Knaus: Während zur Zeit von Kästner noch "Briefschaften durch ein Rohr" gesendet wurden, nutzen wir heute Kupfer und Glasfaser als (technische) Medien zur sozialen Vernetzung. Und doch bleibt es spannend, denn durch die Mediatisierung unserer Lebenswelt verändert sich unsere Gesellschaft – wieder einmal – umfassend: "Digitale Medien entgrenzen und vernetzen (uns) neu", sagt Thomas Knaus, "Realitäten expandieren und raum-zeitliche Grenzen werden überwunden". Die (nicht mehr ganz so) neuen Medien könnten daher nicht isoliert betrachtet werden. Das "Digitale" positioniere sich zunehmend zwischen Technik, Subjekt und Gesellschaft und generiere auf diese Weise Spannungsfelder, betont Thomas Knaus, und je höher die Spannung und je geringer der Widerstand, desto mehr Strom fließt ja bekanntlich – so lehrt es uns zumindest das Ohm‘sche Gesetz zu dem Thomas Knaus in seiner inhaltlichen Einführung augenzwinkernde Parallelen zur politischen und gesellschaftlichen Medien(bildungs)entwicklung zog. Die diesjährige fraMediale widmete sich diesen spannungsreichen Phänomenen und Fragen rund um digitale Medien in Bildungskontexten – und somit auch deren Potentialen.
Der Unterschied zwischen real und virtuell, zwischen analog und digital werde zwar auch in Zukunft noch zu benennen sein, doch mit den Jahren werde dieser zunehmend irrelevant, prognostiziert Thomas Knaus. Die "Welten verschmelzen", das gilt beispielsweise nicht nur für die individuelle Kommunikation, sondern auch für das Wissenschaftssystem: Disziplingrenzen werden und müssen überwunden werden, um der Komplexität unserer (digitalen) Lebenswelt gerecht werden zu können. Was aber, wenn der "Schlüssel" für das Verständnis des Digitalen in Bildungskontexten nicht unter den hellleuchtenden "Laternen" der etablierten Disziplinen, sondern in den (noch) dunklen Zwischenräumen liegt? Das Forschen an den Schnittstellen wird in Zukunft umso wichtiger und notwendiger – ein mehrperspektivisches und interdisziplinäres Vorgehen unumgänglich.

fraMediale-Ausstellersaal-Heidi-Schelhowe-im-GespraechDas Primat der Offenheit und Interdisziplinarität zog sich durch das gesamte Programm der fraMediale 2017. In ihrer Keynote griff Professorin Dr. Heidi Schelhowe von der Universität Bremen das häufig als spannungsreich wahrgenommene Verhältnis zwischen informatischer Bildung und Medienbildung auf. Auch sie plädierte für das Zusammenbringen bildungswissenschaftlicher Theorien und informatischer Praxis, damit nicht nur eine "Öffnung neuer Perspektiven und Zugänge zur Welt", sondern auch der "handelnde Zugriff" auf diese Welt gewährleistet wird, die entscheidend von der Technik geprägt ist. Die Spannung zwischen Denken und Handeln, Wunsch und Wirklichkeit, Mensch und Technik müssten wir "aushalten" und nutzen lernen, so Heidi Schelhowe. Um auch in einer digitalen Gesellschaft der Teilhabe fähig zu sein, sei es wichtig, den Algorithmus, der hinter Freundesvorschlägen bei facebook steht, durchschauen zu lernen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, was digitale Medien sind und was sie (für uns und für die Bildung) bedeuten. Dabei dürfe die Veränderung der "Dinge" durch digitale Medien nicht als gegeben, sondern müsse als gestaltbar begriffen werden. Gleiches gilt in Bildungskontexten: Neben dem Rat zur Selbstreflexion und Entschleunigung appellierte Heidi Schelhowe an ihre Zuhörerinnen und Zuhörer, einen neuen Bildungsdiskurs zu eröffnen, der nicht mehr nur das "Wie", sondern erst einmal das "Was" betrachtet. Sie versteht digitale Medien als Gegenstand von Bildung und als "produktive Irritation von Schule und Hochschule", eine Spannung, die dazu veranlasst, einmal innezuhalten und reflektiert zu fragen, "was Schule eigentlich soll". Im digitalen Zeitalter müsse die Pädagogik selbst sich ändern. Dazu brauche es Medienpädagogik und informatische Bildung gleichermaßen, so das Fazit des Vortrags.

Die Frage nach der Gestaltung von Gesellschaft und Bildung in einer "digitalen" und vernetzten Welt stand somit im Raum. Die Veranstalterinnen und Veranstalter der fraMediale machten sich im Rahmen eines Pressegesprächs für ein Nachdenken über den "funktionalistischen Bildungsbegriff", wie er in der Politik zu hören und aus der KMK-Erklärung von 2016 herauszulesen ist, stark. Der Fokus auf Fähigkeiten und Fertigkeiten müsse ergänzt werden um die Verankerung von Medienbildung im Lehrplan. So müsse von Seiten der Bildungspolitik das Lernen über Medien genauso berücksichtigt werden wie das Lernen mit Medien. Wie bereits Heidi Schelhowe in ihrem Vortrag fragen daher auch Thomas Knaus (FTzM), Dorothee M. Meister (GMK) und Petra Missomelius (KBoM!), die im Rahmen des Pressegesprächs Rede und Antwort standen: Was müssen Schülerinnen und Schüler wissen und können, um an dieser "digitalen" und vernetzten Gesellschaft aktiv und mündig teilhaben zu können?

fraMediale-Vortrag-Thomas-DambergerWie sich das (Selbst-)Bild des Menschen im Zuge der beschriebenen Spannungsverhältnisse wandelt, veranschaulichte Vertretungsprofessor Dr. Thomas Damberger von der Goethe-Universität Frankfurt am Main im zweiten Vortrag: "Medienbildung und Künstliche Intelligenz – Vom Ende des Menschen und der Chance zur Menschlichkeit". Anhand eindrücklicher Beispiele zeigte sein Beitrag, dass die Künstliche Intelligenz (KI) bereits heute so weit fortgeschritten ist, dass Roboter menschliche Intelligenz, ja sogar menschliche Kreativität à la Vivaldi simulieren können. Doch "es ist und bleibt eine Simulation", so Thomas Damberger, "Google weiß nicht, was Google sagt". Und obwohl uns Suchmaschinen sinnvolle Antworten auf unsere Suchanfragen liefern (meistens jedenfalls), basieren diese Simulationen auf bloßen Berechnungen und Algorithmen; die Interpretation dessen, was uns da gezeigt wird, liege noch immer bei uns. Die durchaus provokante Frage, wozu es angesichts der Potentiale der KI überhaupt noch den Menschen braucht, beantwortet Thomas Damberger mit Heidegger und Kant: Der Mensch ist mehrdimensional, er besitzt nicht nur Verstand und Kreativität, sondern auch Vernunft. Die Vernunft befähige – nach Kant – den Menschen dazu, Ideen zu haben, das heißt, etwas, was nicht ist, denken zu können oder etwas, das möglich ist, Wirklichkeit werden zu lassen. Das Mögliche oder die Idee existiere hingegen nicht im "Denken" der KI – solange wir das nicht vergessen und den Menschen nicht auf seinen Verstand reduzieren, bedeute die KI nicht das Ende des Menschen, sondern eine Chance zur Menschlichkeit. Mit Blick auf die Medienbildung plädierte Thomas Damberger schlussendlich für eine "Medienselbstbildung", das bedeutet, eine Persönlichkeitsbildung an den Medien.

In seinem das offizielle Programm der fraMediale abschließenden Vortrag plädierte Professor Dr. Peter Purgathofer von der Technischen Universität Wien für eine "Open Science" und damit für die gesellschaftliche Öffnung von Wissenschaft und Forschung. Denn um den Anforderungen gerecht zu werden, die sich im Spannungsfeld von Technik, Subjekt und Gesellschaft ergeben, bedarf es einer Wissenschaftskultur, die sich offen und gemeinnützig präsentiert. Damit die Wissenschaft ihrem ursprünglichen Zweck der Wahrheitsfindung und des kritischen Diskurses folgen könne, müsse es neue Modelle des Austausches geben, so Peter Purgathofer. In dieser Konsequenz fordert er beispielsweise den Patentverzicht in öffentlichen Bildungseinrichtungen und die Etablierung von Open Access und Open Peer Review in der wissenschaftlichen Forschung an Hochschulen.

fraMediale-Workshop-Juliane-JammerIn insgesamt elf Workshops und Infoshops wurden Spannungen und Potentiale des Medieneinsatzes in Schulen, Hochschulen und außerschulischen Einrichtungen zudem gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erarbeitet und diskutiert. Darunter waren praktisch orientierte Workshops, die zum Handeln motivierten: Exemplarisch ist hier der Workshop "Wie mache ich Musik aus Gummibären?" zu nennen, in dem Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausprobieren konnten, wie Making im Unterricht funktioniert und dabei Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Partizipation und Handlungsfähigkeit machen. Ziel des kreativen Bastelns mit elektronischer und nicht-elektronischer Technik sei es laut Workshopleiterin Juliane Jammer, das Verständnis von Computern in Verbindung mit Software zu fördern und einfache Programmierungen, wie das Belegen einer Taste mit konkreten Befehlen, durchführen zu lassen. Auch in diesem Workshop wurde deutlich: Nur wer den Algorithmus, die Codes kennt, kann an der digitalen Lebenswelt teilnehmen und diese auch aktiv gestalten. Im Rahmen des Workshops "Digitales Lernen in der Grundschule – Ein Werkstattbericht mit Praxisbeispielen" lernten die Teilnehmenden die beiden Teilprojekte "Neue Formen des Lernens – Fächerübergreifender Unterricht mit dem iPad" sowie "Lebens.Lern.Raum Rosensteinschule" kennen und konnten unter Anleitung von Professor Dr. Horst Niesyto, Dr. Katrin Schlör und Daniel Autenrieth von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg in Praxisphasen selbst einzelne Bausteine daraus testen.
Andere Workshops reflektierten das Handeln im Bildungsalltag: Im Workshop von Wolfgang B. Ruge der Universität Wien und Anu Pöyskö vom Medienzentrum wienxtra in Wien wurden beispielsweise Menschenbilder in der Medienpädagogik besprochen und diskutiert, das heißt wie Pädagoginnen und Pädagogen auf ihre Zielgruppe schauen und umgekehrt, aber auch wie Pädagoginnen und Pädagogen sich selbst und ihr eigenes Medienverhalten betrachten. Auch die vorgestellten Menschen- und Selbstbilder verdeutlichten erneut mögliche "Spannungen" zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Der Wunsch, "eine 'geerdete' Lehrerin zu sein, die 'up to date' in Sachen digitaler Medien ist, steht oft der Realität eines eher zweifelnden 'Medienmuffels' gegenüber", so die Workshopleiterin. Anu Pöyskö ermutigte dennoch dazu, die Herausforderungen, Risiken und Probleme von und mit Medien zwar realistisch wahrzunehmen, aber eine positive Grundhaltung beizubehalten. In Murmelgruppen erzählten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von gelungenen Beispielen medienpädagogischer Settings und wodurch diese ermöglicht wurden. Auch hier fand also ein reger Austausch nicht nur über Spannungen, sondern auch über Potentiale der medienpädagogischen Praxis statt.

fraMediale-Preis2017-Preistraeger-SchuelerinnenDie feierliche Verleihung des fraMediale-Preises war ein gebührender Abschluss für diese abwechslungsreiche und stimmige Tagung. In seiner Laudatio konstatierte Merten Giesen vom Medienzentrum Frankfurt e. V. drei Standbeine für eine gelingende Integration digitaler Medien in Bildungskontexten: erstens eine adäquate Ausstattung, zweitens eine gute Idee und drittens kompetente Personen, die diese Idee umsetzen. Seien es die Preisträgerinnen und Preisträger in der Kategorie Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Hochschullehrende oder Studierende – die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten sowie Potentiale zu erkennen und zu realisieren, ist ihnen allen gemein. Sie alle zeigten den Mut, Ideen zu haben und Mögliches möglich zu machen – für sich selbst und für eine Medienbildung in der digital vernetzten Gesellschaft.

Bericht: Nastasja Müller, FTzM

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