„Lernen mit Computern ist ein alter Hut“, erläuterte der Psychologe Prof. Dr. Holger Horz, „sobald es Computer gab, wollte man sie auch zum Lernen verwenden.“ Dennoch zeigte sich bei der fraMediale 2014, dass immer noch relativ wenig mit digitalen Medien, besonders mit mobilen Endgeräten, gelernt bzw. gelehrt wird und dass weiter erforscht werden muss, inwiefern und unter welchen Voraussetzungen sie den Lernerfolg tatsächlich fördern.
Die fraMediale ist eine Fachtagung und Messe zu (digitalen) Medien in Bildungseinrichtungen an der FH Frankfurt und stand im März 2014 unter dem Titel Personalisiertes Lernen – bring your OWN device. Es ging aber um weitaus mehr als um mobile Endgeräte: Die verschiedenen Vorträge plädierten letztlich für Blended Learning, also für Lehr- und Lernformen, die sowohl analoge wie auch digitale Medien verwenden und sowohl Präsenz- wie Online-Veranstaltungen vorsehen, so dass sich die Vorteile der unterschiedlichen Formen gegenseitig verstärken (können). Das Lernen mit mobilen Endgeräten spielt dabei bislang in der Praxis nur eine kleine Rolle und bedarf noch umfassender Untersuchungen.
Die technische Ausstattung ist nur ein Teil der Lösung
Die wichtigsten Bedingungen für erfolgreiches Blended Learning aus pädagogisch-psychologischer Perspektive schilderte Prof. Dr. Holger Horz von der Goethe-Universität Frankfurt am Main unter dem Titel Digitale Medien sind für jede/n da – Wie alle Lehrkräfte digitale Medien sinnvoll in der Lehre nutzen können. Um dieses Ziel zu erreichen sei es entscheidend, grundsätzliche „Medienkompetenz auf allen Kanälen“ zu vermitteln, forderte Horz.
Dennoch nutzt heute nur etwa die Hälfte der Lehrkräfte den Computer regelmäßig, während ein Viertel ihn kaum nutzt – unter den Schülerinnen und Schülern sind es jedoch 90 Prozent, die den Computer regelmäßig nutzen! Wichtig sei es deswegen an jeder Schule, „den Teil der Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, die bislang gezielt fernbleiben.“
Dem Innovationsdruck kann man nämlich nicht entkommen, betonte Horz, digitale Medien seien „Teil unserer Kultur geworden“. In den USA mache sich zum Teil bereits eine Gegenbewegung der „Rückwärtsgewandtheit“ bemerkbar, dort würden digitale Medien in den Schulen wieder seltener eingesetzt. Wichtig für den Erfolg des Einsatzes sei es jedoch, wiederum an jeder einzelnen Schule, nicht nur Geld zu investieren und eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, „sondern entscheidend ist die Integration derer, die damit arbeiten.“
Die Unterscheidung zwischen den jugendlichen „Digital Natives“ und den erwachsenen „Digital Migrants“ bezeichnete der Dozent als „naive Vorstellung“: Denn auch die Kinder und Jugendlichen von heute würden die Nutzung von Medien eben nicht „so nebenbei“ erlernen, sondern werden selbst die weiter zunehmende technologische Beschleunigung als Herausforderung erfahren, denn „der technologische Fortschritt ist schneller als der soziotechnische“. Daher sei Medienkompetenz die entscheidende Voraussetzung, um auch mit den digitalen Medien von morgen umgehen zu können.
Dazu sei die Nutzung digitaler Medien an Schulen jedoch noch viel zu gering, gerade auch im internationalen Vergleich. Darüber hinaus müsse man jedoch auch unterscheiden zwischen der Aufgeschlossenheit gegenüber digitalen Medien und ihrer tatsächlichen Nutzung: Das Internet sei zwar potentiell für jeden verfügbar, dennoch nutze es ein Viertel der deutschen Bevölkerung nicht.
Die Kinder von heute, so prophezeite Horz, werden ein neues Verständnis von Privatheit definieren: Ihnen wird es nicht mehr darum gehen, mit Informationen an sich zu geizen, sondern die Informationshoheit zu behalten im Sinne eines „Digital Identity Management – wie kann ich steuern, was ich preisgeben möchte?“ Bereits heute sei es unrealistisch, sich den Sozialen Netzwerken zu entziehen, so würden etwa Bewerber ohne Social-Media-Profil mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, gerade für höhere Positionen. Das Ziel einer zukunftsfähigen Medienerziehung müsse deshalb die „Digital Citizenship“ sein, „individuell handlungsfähige Subjekte in einer digitalen Gesellschaft zu erziehen“, denn „Medienkompetenz heißt Partizipieren“. Wichtig sei dabei vor allem die Fähigkeit zur Selektion von Informationen, auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Quelle.
Um diese Medienkompetenz zu erzielen und in Bildungskontexten zu vermitteln, sei (zumindest heute) nicht das reine eLearning, sondern Blended Learning notwendig, das eine „wechselseitige Optimierung“ konventioneller und moderner Medien und Lehrmethoden erlaubt. Das sei unter anderem hilfreich für Lehrkräfte, die noch über wenig Erfahrung mit digitalen Medien verfügen. Nach Einschätzung des Referenten sind auch neue Formen der Didaktik erforderlich, um „aus Personen mit wenig Eigenständigkeit welche mit hoher Eigenständigkeit zu machen“, die über „Selbstkompetenz“ verfügen und „nicht abhängige User“ sind. Ein typischer und häufiger Fehler bei der Medienerziehung sei dabei immer noch, digitale Medien zu verteufeln: Veröffentlichungen wie Manfred Spitzers Digitale Demenz sprächen den „Altvorderen, die etwas abgehängt sind, aus der Seele“ und das Verbot, Wikipedia als Quelle zu verwenden, sei „Bullshit“. Wichtig sei es dagegen, möglichst jedem die Teilhabe an der Wissensgesellschaft durch digitale Medien zu ermöglichen und einen guten Umgang mit der „Diversität der Informationsverfügbarkeit“ zu lehren.
Nicht der Einsatz von neuer Technik an sich sei also entscheidend, fasste Holger Horz‘ zusammen, sondern deren sinnvolle Nutzung und die Vermittlung von Medienkompetenz. Wenn neue Technik eingesetzt werden soll, müsse sie auch sinnvoll eingeführt werden, und zwar vor allem auf personeller Ebene durch Fortbildung für diejenigen, die tatsächlich damit arbeiten. Und in jedem Fall müsse die didaktische Planung der Vermittlung an erster Stelle stehen und erst dann überlegt werden, mit welchen Methoden und welchen analogen und digitalen Medien sie erfolgen soll.
Ein Beispiel für personalisiertes Lernen mit digitalen Medien in der Praxis
Ein Beispiel für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht stellte der Lehrer Dirk Weidmann von der Heinrich-Grupe-Schule Grebenstein vor: Das „Inverted Classroom Mastery Model“ (ICMM) im Schulunterricht. Für gewöhnlich erschließen im Unterricht Lehrende und Lernende die Inhalte gemeinsam in einer Präsenzphase. Anschließend werden die Inhalte in einer individuellen Phase durch Üben vertieft, klassischerweise als Hausaufgabe. Das Inverted Classroom-Konzept kehrt diese Reihenfolge um: In einer mediengestützten individuellen Phase eignen sich die Schülerinnen und Schüler den Stoff an und testen ihr Wissen. Das entlastet die Unterrichtszeit, in der so mehr Übung und Transfer stattfinden können. Das Material zum Selbststudium besteht naturgemäß aus Medien – digitalen oder analogen. Der Vorteil daran ist, dass die Lernenden das Material je nach ihrem individuellen Bedürfnis häufiger durcharbeiten können, z. B. ein Video wiederholt ansehen. Problematisch ist, dass das (richtige) Verständnis zunächst nicht überprüft werden kann. Daher wird das Konzept zum Inverted Classroom Mastery Model erweitert, indem eine so genannte Formative Assessment-Phase eingefügt wird. Dabei kann der oder die Lernende das Verständnis der Inhalte z. B. mit Hilfe von Multiple Choice-Tests überprüfen.
Am konkreten Beispiel eines Videos für die Selbstlernphase wurden im Plenum verschiedene Vorzüge und Probleme diskutiert. Die bewegten Bilder könnten sich motivierend auswirken, wurde einerseits behauptet, andererseits würde die Aufmerksamkeit auch schnell wieder abflachen. Generell wurde auch hier das häufig benutzte Argument herangezogen, dass die Arbeit mit digitalen Medien an sich motivierend wirken würde, weil es einfach eine andere Form des Unterrichts sei.
Außerdem tauchte die Frage auf: „Wieviel Zeit und wieviel Aufwand will ein Lehrer so in die Vorbereitung stecken?“. Der „Mehrwert“ gegenüber traditionellem Unterricht sei andererseits, dass „Sie als Lehrer nicht immer wieder neu das Rad erfinden müssen“, weil die digitalen Medien immer wieder verwendbar sind – was allerdings auf analoge Medien ebenfalls zutrifft. Idealerweise, so befand man im Plenum, sollte es gleich eine „Medienauswahl“, also verschiedene Medienformen für unterschiedliche Lerntypen, geben oder auch einfach „mehrere Zugänge, mehrere Puzzlestücke“. Dieses Bedürfnis würde sich, erläuterte der Referent, im Konzept des so genannten „scrambled classroom“ niederschlagen, bei dem die Lernenden durch einen „Mix aus mehreren Varianten eine individuelle Vorbereitung leisten können.“
Als eine wichtige Voraussetzung wurde genannt, dass die Schülerinnen und Schüler bereits eine Vorstellung von eigenständigem Lernen haben, und dass bestimmte technische Voraussetzungen, z. B. Internetzugang oder ein mobiles Endgerät, auch zu Hause verfügbar sind. Dann jedoch empfanden die Teilnehmenden die „Individualisierung als deutliche Stärke“.
Tablets können analoge Medien (noch) nicht ersetzen
Auch im Vortrag Unterricht mit schülerindividuellen Endgeräten – Kritische Anmerkungen aus medienintegrativer Perspektive ging es darum, unter welchen Voraussetzungen mobile Endgeräte im Unterricht sinnvoll verwendet werden können. Dr. Stefan Welling vom Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH beschäftigte sich dabei konkret mit dem neuen Trend zur Verwendung von Tablets im Unterricht und empfahl ebenfalls Blended Learning als die momentan erfolgreichste Methode.
Digitale Medien würden zwar im Unterricht eingesetzt, erläuterte der Referent, aber „Schwierigkeiten begleiten den Einsatz von Anfang an“: Im Zweifel würden Lehrkräfte immer noch auf „traditionelle Arbeitspraxen“ zurück, und das Buch bliebe weiterhin Leitmedium. Tablets seien die neuen Hoffnungsträger, um digitale Medien in den Schulalltag zu integrieren. Vorhandene Untersuchungen scheinen tatsächlich einen positiven Effekt zu bestätigen, blieben aber oft „anekdotenhaft“.
Aus verschiedenen Gründen würde jedoch überschätzt, was Tablets leisten können, erklärte Welling: Zunächst besitzen (noch) weitaus mehr Jugendliche Notebooks als Tablets. An Untersuchungen zur Leseförderung mit digitalen Medien würde außerdem deutlich, dass die Ergebnisse gegenüber traditionellen Medien nur dann etwas besser ausfallen, wenn innovative technische Anwendungen curricular verankert werden und die Lehrkräfte durch intensive Fortbildung dabei unterstützt werden, ihren Unterricht neu zu gestalten. Denn Medienhandeln sei geprägt durch Praktiken, die „gleichzeitig routinisiert und unberechenbar“ sind; beispielsweise haben Schülerinnen und Schüler selbst den Eindruck, dass handschriftliche Notizen effizienter sind als digitale – und es sei kaum zu sagen, ob das einfach die eingeübte Praktik oder tatsächlich z. B. durch die Haptik bedingt sei. Auf der anderen Seite sei noch jeder neuen Technologie ein Bildungsnutzen attestiert worden, der sich dann freilich nicht erfüllte, so Stefan Welling. Aber „Diskurse über digitale Medien sind stark ökonomisch und politisch vereinnahmt“, beispielsweise der Mythos von den sog. „digitale natives“, dem viele Jugendliche selbst kritisch gegenüberstünden.
Der Referent wies darauf hin, dass der Einsatz von mobilen Endgeräten Sozialformen und Arbeitspraxen im Unterricht tatsächlich schnell verändern würde; dennoch blieben etablierte Muster beständig, beispielsweise die materiellen Anteile von Lernpraxen wie das Schreiben mit der Hand oder die Arbeit mit Büchern. Noch vor wenigen Jahren, erklärte Welling, hätte er dafür plädiert, diese Beharrlichkeit zu überwinden. Heute hingegen sei er der Ansicht, dass man die traditionellen und modernen Medien und Formen zusammenbringen müsse – und dabei einige nicht nur technische, sondern auch schulorganisatorische Rahmenbedingungen wie die curriculare Verankerung und Fortbildung beachten.
Vorteile mobiler Endgeräte gegenüber traditionellen Lernmedien
Auch Dr. Thomas Knaus vom Frankfurter Technologiezentrum [:Medien] betonte in seinem Vortrag Technik stört – Bring Your Own Disturber? Ein Plädoyer für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien in interaktionistisch-konstruktivistischer Perspektive, dass der Vorzug von digitalen gegenüber analogen Medien und die Vorzüge verschiedener digitaler Medien untereinander weiterhin kritisch untersucht werden müsse. Den häufig beschworenen „grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Technik und Lernmotivation“ hält er etwa für zweifelhaft. Wichtig seien digitale Medien im Unterricht aus anderen Gründen: Indem sie zunächst einmal stören, stellen sie „bewährte Routinen in Frage“ und können sich so als Anstoß, als Motivation auswirken, wenn etwa eine Lehrkraft ihren Stoff für ein neues Medium neu durcharbeitet und dadurch ihre Schülerinnen und Schüler mitreißt. Außerdem, davon ist Thomas Knaus überzeugt, erleichtern digitale Medien den Lernenden, sich den Stoff tatsächlich anzueignen und individuelle Lernräume zu schaffen, vereinfachen die kommunikative Vernetzung von Lernenden und Lehrenden miteinander und untereinander.
Aber, so der Referent, reines „eLearning 1.0 ist eine Utopie!“. Denn auch analoge Medien besäßen wichtige Eigenschaften, die dem Lernen förderlich sind, wenn sie richtig eingesetzt werden: „Schülerinnen und Schüler lernten wahrscheinlich leichter, wenn sie ihre Bücher beschmieren dürften“, und ein Schulheft sei schon ein persönlicher Lernraum und dem individuellen Lernen viel zuträglicher als herkömmliche Lernsoftware. Entscheidende Vorteile von mobilen Endgeräten gegenüber solchen traditionellen Lernmedien seien, dass auf dem Tablet verschiedene Medienformate einfach zusammengeführt werden könne und somit keine „Medienbrüche“ entstehen. Außerdem böten sie die Möglichkeit zum kollaborativen Arbeiten. Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz ist aber, dass sie an den Bildungsorten stets zur Verfügung stehen und ganz selbstverständlich genutzt werden dürfen. Das gilt vermutlich insbesondere dann, wenn die Lernenden tatsächlich ihre eigenen und individuell personalisierten Geräte verwenden, weil so leichter persönliche Lernräume und noch weniger „Medienbrüche“ entstehen.
Hier gibt es sämtliche Präsentationen und Videoeindrücke der fraMediale 2014 zu sehen.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Erschienen im: MediaCulture-Online Blog des Landesmedienzentrums BW [LMZ]
Datum: 27. März 2014
Verfasserin: Laura Schröder